Wanderschwelle: Innovativste Bahnfuge für extreme Ansprüche

MAURER konstruiert große Wanderschwellen und einzigartigen Entgleisungsschutz für Bahnbrücke in Montreal.

München, Montreal. Wanderschwellen sind ein innovatives Bauteil, das welt- weit erst wenige Male auf Eisenbahnbrücken eingesetzt wurde. Die neue Champlain-Brücke über den Sankt-Lorenz-Strom bekam eine der größten bisher gebauten. Die erdbebensicheren Wanderschwellen wurden zudem mit einem neu entwickelten Entgleisungsschutz ausgestattet.

Die 3,4 Kilometer lange „New Samuel de Champlain Bridge” über den Sankt- Lorenz-Strom ersetzt die 1962 erbaute Champlain-Brücke und gilt bereits jetzt als Ikone. Mit ihrer weißen Farbe, dem 170 m hohen Pylonenpaar und den asymmetrischen Seilharfen ist sie eine Landmarke für Montreal. Die Haupt- spannweite beträgt 240m und mit einer Breite von 60m ist sie die breiteste Schrägseilbrücke der Welt. Jährlich überqueren hier bis zu 60 Millionen Fahrzeuge den Sankt-Lorenz-Strom.

Auf den beiden äußeren Brückendecks mit je vier Fahrspuren fließt seit 2019 der Straßenverkehr. Das nördliche Deck hat zudem eine Mehrzweckspur für Radfahrer und Fußgänger. An der Mittelbrücke, die zwischen dem Pylonenpaar hindurchführt, wird noch gebaut. Hier soll ab Herbst 2022 die neue automatisierte Stadtbahn Réseau Express Métropolitain (REM) verkehren.
Große Bewegungen plus Verdrehungen

Eine besondere Herausforderung waren die Dehnfugen an der Mittelbrücke. Diese ist sehr schlank designt, woraus sich relative große Längsbewegungen bei Zugüberfahrten, beim Bremsen und Beschleunigen ergeben. Hinzu kom- men starke Winde, strenge Winter und mögliche Erdbeben. „Die relativ großen vertikalen Bewegungen in Kombination mit Verdrehungen aus Torsions- und Biegeeffekten plus horizontalen Verschiebungen waren eine Herausforderung, die nur mit unseren neuen Wanderschwellen erfüllt werden konnten“, berichtet Dipl.-Ing. Stefan Vollert, Entwicklungsingenieur bei MAURER. Doch es gab noch ein ganzes Paket weiterer Anforderungen an den Übergang:

  • Vollständig wasserdicht über die gesamte Breite des Brückendecks (auch in Kombination mit der Schleppblechfuge, SP Expansion Joint genannt) durch patentiertes Dichtprofil
  • Inspizierbar von unten ohne Verkehrsunterbrechung
  • Passend für den Bauraum der Festen Fahrbahn
  • Perfekt gleichmäßiges Öffnungs- und Schließverhalten der Spalte
  • Temperaturbereich von -35 bis +40° C

Die kanadische Bahnbehörde wusste um die technischen Möglichkeiten der Wanderschwelle, weil Vertreter vor zwei Jahren das MAURER-Werk in München besucht hatten. Damals wurden dort die weltweit ersten erdbebensicheren Wanderschwellen für die Bahnlinie Toluca-Mexiko City gefertigt. Tatsächlich kann die Wanderschwelle das ganze Anforderungspaket der neuen Champlain- Brücke erfüllen.


Dehnfugen für Bahnbrücken


Wanderschwellen sind Dehnfugen für Bahnbrücken. Sie überbrücken den Bau- werksspalt an Brückenenden oder zwischen Brückenabschnitten, in Montreal z.B. vor und hinter den Hauptspannweiten am Pylonenpaar, und ermöglichen Bewegungen und Verdrehungen in alle Richtungen.

Die Wanderschwelle basiert auf dem Prinzip der Schwenktraversen-Dehnfuge aus dem Straßenbau, nur wesentlich stabiler, denn mit jeder Zugüberfahrt wirken große Achslasten auf die Konstruktion. Diese schnellen vertikalen Überfahrt- impulse und die damit verbundenen Bewegungen nimmt die Wanderschwelle ermüdungsfrei auf. Horizontale Ausdehnungen werden über eine geometrisch geführte Steuerung gleichmäßig auf die Schwellenabstände verteilt. Im Unter- schied zu einer elastisch geführten Steuerung bringt das mehr Stabilität und damit eine längere Lebensdauer.

Zusäzlich erlauben die beweglichen Lager in der Konstruktion das „Wandern“ bzw. Verdrehen der Schwellen in der bzw. um die Längs-, Quer- und sogar Vertikalachse. Bei einer Zugüberfahrt kommt es innerhalb der Wanderschwelle zu keinen nennenswerten elastischen Verformungen. Selbst Erdbebenbewe- gungen werden schadfrei innerhalb der Dehnfuge kompensiert, so dass Züge auch direkt nach einem Starkbeben wieder verkehren können. Die Wander- schwelle ist derzeit die einzige Eisenbahn-Dehnfuge, die schnelle, impulsartige und große seismische Bewegungen ohne Schäden am Bauteil oder am Bauwerk übertragen und aufnehmen kann.

Individuell angepasst


Die besondere Herausforderung in Kanada war, dass die errechneten Bewegungen größer waren als nach deutschen Regelwerken vorgesehen und auch größer als die bisher von MAURER entwickelten Standard-Wanderschwellen. „Da alle Brückenbewegungen außerhalb des genormten Standards liegen, mussten wir spezielle Nachweise für die Schienen und Schienenstützpunkte führen“, erklärt Vollert.

Zudem war gefordert, den auf Bahnbrücken üblichen Entgleisungsschutz über die Dehnfugen hinwegzuführen. Diese Systeme dienen vor allem dem Schutz der Brücke bei der Entgleisung einzelner Zugachsen, was im Bahnbetrieb tatsächlich gar nicht so selten ist. MAURER entwickelte deshalb erstmals für die Wanderschwelle ein Entgleisungsschutzsystem.

Hochleistungs-Gleitwerkstoff MSM®


Kleine, seitlich geführte MSM®-Gleitlager sichern ein verschleißarmes, nahezu reibungsloses und kontrolliertes Gleiten der Schwellen mit geringsten Wider- ständen. MSM® bedeutet „MAURER Sliding Material“ und ist ein von MAURER entwickelter und patentierter Gleitwerkstoff. Er kann im Vergleich zu her- kömmlichem Teflon (PTFE) doppelt so hohe Pressungen aufnehmen, 5-fache Gleitwegsummen ohne Verschleiß leisten und einer 7,5-fachen Verschiebe- geschwindigkeit standhalten. Deshalb ist MSM® auch als dauerhafte und reibungsarme Gleitlagerung an allen Lagerpunkten eingebaut.

Die Neue Champlain-Brücke soll eine Lebensdauer von 125 Jahren haben, für die Wanderschwelle waren mindestens 30 Jahre gefordert. Tatsächlich sind die MAURER Wanderschwellen für mindestens 60 Jahre ausgelegt. Die Dauerhaf- tigkeit des Steuerungssystems und der lastabtragenden Bauteile wurde in einem 10-km-Gleitwegtest nachgewiesen. Der Test wurde mit einer original großen CT4 (CT4 = Guided Cross Tie mit 4 Fugenspalte) durchgeführt: entsprechend den Anforderungen der RIL804 in einem unabhängigen Labor der Hochschule München, das als Fremdüberwacher zertifiziert ist. Dabei kam es zu keinerlei Verschleiß bzw. Ermüdung in den beweglichen Bauteilen.

Insgesamt wurden 16 Wanderschwellen mit Entgleisungsschutz für Montreal in München gefertigt, davon 4 Stück als große Variante „CT4“ mit einer Bewegung von bis zu 1.030 mm.

Transport- und Installationsvorrichtungen


Die Wanderschwellen werden mit einem speziell entwickelten Transportrahmen geliefert. Die Schwellen sind innerhalb des Rahmens in Längsrichtung ver- schiebbar. Das erlaubt während der Installation das Anpassen an den jeweiligen Verschiebezustand der Brücke.

Für das schnelle und exakte Aufsetzen der Wanderschwellen werden vor der Installation pro Dehnfuge sechs Montagefüße in die Bauwerkskonstruktion eingemessen und fixiert. Dieses Vorgehen spart Einsatzzeit von schwerem Hebegerät.

Eingebaut wurden die 16 Wanderschwellen von November 2020 bis April 2021. Für die Befestigung wurden die Schienen mit speziellen Schienenstützpunkten (BSP FF-B-2-RE der Firma Schwihag) ausgestattet, die für die amerikanische Schiene RE115 umgebaut wurden. Diese Schienenstützpunkte werden in der festen Fahrbahn eingesetzt und erfüllen erhöhte Anforderungen an Vertikalkräfte und Querverformbarkeit.

Eröffnet werden soll die Bahnbrücke im Herbst 2022. Bauherr und Betreiber ist die Signature on the Saint Laurent Group G.P (SSLG). Geplant wurde die Brücke von T.Y.Lin International, gebaut von SSLC (Signature on the Saint Lawrance Construction GC).

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